Große Kreuzfahrtschiffe dürfen nicht mehr durch Venedig fahren
Die Bilder von riesigen Kreuzfahrtschiffen, die auf dem Giudecca-Kanal – vorbei am Markusplatz – quer durch Venedig fahren, könnten Geschichte sein. Die italienische Regierung hat jedenfalls einen neuen Versuch gestartet, alle größeren Schiffe vom touristischen Hafen in Venedig in den Industriehafen von Marghera zu verlegen.
Vorerst gibt es nur eine kurze Erklärung, die von den italienischen Ministern für Infrastruktur, Kultur, Tourismus und Umwelt in Rom gemeinsam veröffentlicht wurde. Man habe sich darauf geeinigt, den „Verkehr der großen Schiffe vorübergehend von Venedig nach Marghera umzuleiten“, heißt es in dem Dokument.
Damit wolle man „ein kulturelles und historisches Erbe schützen, das nicht nur Italien, sondern der ganzen Welt gehört“. In einer Videokonferenz, so liest man weiter, hätten die vier Minister zudem einen Ideenwettbewerb für einen neuen Kreuzfahrtterminal außerhalb der Lagune beschlossen, um „eine strukturelle und endgültige Lösung für das Problem des großen Schiffstransits in Venedig zu finden“.
Mehr ist noch nicht bekannt – und damit bleiben viele wichtige Fragen vorerst offen. So weiß man zum Beispiel nicht, was die vier Minister konkret unter „großen Schiffen“ verstehen. In früheren Dekreten des Umweltministeriums, die dann nie umgesetzt wurden, lag die Grenze einmal bei 96.000 BRZ, was einer Kapazität von rund 2.200 Passagieren bedeuten würde, und einmal bei 55.000 BRZ.
Eine Fahrrinne durch die Lagune zum Industriehafen von Marghera besteht bereits und wird von vielen Fracht- und Container-Schiffen genutzt. Sie verläuft nahe am Festland – und damit weit weg von Venedig. Ob sie den zusätzlichen Verkehr bewältigen kann oder zuvor noch ausgebaut werden muss, ist aber unklar. Zudem gibt es in Marghera keinerlei Infrastruktur für Kreuzfahrtschiffe. Pläne dafür müssten erst ausgearbeitet werden.
Die entscheidende Frage ist aber, ob sich die Regierung in Rom diesmal gegen die Interessen der Kreuzfahrtindustrie und des Hafens von Venedig durchsetzen kann. Schon 2014 hatte das Umweltministerium ein Verbot für Kreuzfahrtschiffe mit mehr als 96.000 BRZ im Giudecca-Kanal ausgesprochen, das dann aber von einem regionalen Gericht wieder aufgehoben wurde, weil es „unverhältnismäßig gegen öffentliche und private Interessen“ verstoße.
Nachdem die UNESCO im Jahr 2016 sogar mit dem Verlust des Weltkulturerbe-Status für Venedig gedroht hatte, kündigte die italienische Regierung 2017 neuerlich ein Verbot für alle Kreuzfahrtschiffe an – diesmal mit mehr als 55.000 BRZ. Alle anderen sollten nach Marghera fahren. Umgesetzt wurde diese Regelung aber nicht – und so schicken die Reedereien auch weiterhin ihre Kreuzfahrt-Giganten in die Lagunenstadt.
Selbst ein spektakulärer Zwischenfall im Juni 2019, als die MSC Opera auf dem Guidecca-Kanal außer Kontrolle geriet und gegen ein am San Basilio Cruise Terminal liegendes Flussschiff krachte, änderte nichts daran – und das galt auch für ein Missgeschick der Costa Deliziosa, die im Juli 2019 während eines Sturms beinahe gegen die Uferpromenade gekracht wäre, ehe die Schlepper im letzten Augenblick noch das Schlimmste verhindern konnten.
Einzig Royal Caribbean bewies im vergangenen Jahr erstaunliche Weitsicht, als der Heimathafen für die Mittelmeer-Kreuzfahrten der Rhapsody of the Seas im Sommer 2021 von Venedig nach Ravenna verlegt wurde. Als Grund für diesen ungewöhnlichen Schritt nannte die amerikanische Reederei damals „zunehmende Bedenken hinsichtlich der Zukunft der Kreuzfahrt in Venedig“…